Hier am Kap in Finisterre endet nach ca. 900 km für mich mein Camino ... was für eine wunderbare Zeit, unvergesslich ... die Landschaften, die Begegnungen, die Menschen - einfach alles! Buen Camino ...
Jeannines Camino nach Santiago
Jeannine De Geest pilgert auf dem Jakobsweg von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela
Montag, 30. Mai 2022
Samstag, 28. Mai 2022
Tag 39: Monte do Gozo - Santiago de Compostela
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und zum Ziel
Monte do Gozo – Santiago de Compostela
Ich starte gegen 7:30 Uhr und bin angenehm aufgeregt. Das
Wetter ist super. Ich bemühe mich, gemütlich zu gehen, was mir dann aber auch
gelingt. Die Straßen sind noch so leer, dass ich einfach auf einer großen Straße
stehen bleiben kann. Nur vereinzelt sehe ich Leute.
Ich überquere schnell die Autobahn und bin dann auch schnell an dem berühmten Schild, wo groß „Santiago de Compostela“ geschrieben steht. Hier ist auch Lothar vor 7 Jahren fotografiert worden, aber da sah es komplett anders aus. Nicht so zugewuchert und beklebt. Dagegen war sein Bild vom Ortseingangschild total zugeklebt, was bei mir komplett sauber war.
Ich mache ein paar Selfies, denn es kommt ja keiner vorbei, der mich hätte
fotografieren können. Lothar sagt aber, ich soll unbedingt abwarten für´s Bild.
Ich bin schon ungeduldig und setze mir ein Limit von 10 Minuten, die ich noch
warten werde. Ich möchte gerne weitergehen …
Aber dann kommen zwei dick bepackte barfußgehende Pilgerinnen … juhuuu. Ich spreche
die beiden an (sind auch Deutsche) und hab mein Foto im Kasten. Weiter geht´s …
Beschwingt gehe ich, freue mich einerseits, genieße aber auch die Ruhe des Vororts von Santiago und die Einsamkeit. Vieles geht mir nochmal im Schnelldurchgang durch den Kopf. Ich schreibe immer wieder mit Lothar, es sind nur noch 2 km … 1 km … ich komme langsam in die historische Altstadt und somit auch dem Ziel entgegen. Es ist so gut wie nichts los. Eine gut gelaunte Pilgerin kommt mir entgegen, ruft mir zu, ob ich gerade einlaufe und freut sich einfach mit mir und wünscht mir alles Gute. Ja, ich kann sagen, auf den letzten Metern überwiegt die Freude. Ich erkenne die Herberge, wo meine Freundin Anne vermutlich noch schläft.
Plötzlich werde ich von hinten umarmt. Es ist Alicia aus Brasilien. Sie hat mir
den gelben Pfeil geschenkt und ist vor zwei Tagen an ihrem Geburtstag eingelaufen.
Sie bietet mir an, Fotos von mir zu machen, wenn ich meine letzten Meter laufe.
Ich merke einen Kloß im Hals, denn eigentlich ist mir gerade gar nicht nach Gesellschaft.
Ich möchte diesen Moment für mich haben und genießen. Sie versteht mich aber
nicht ganz und daher drücke ich ihr meine Kamera in die Hand und lasse sie
fotografieren, wofür ich ihr im Nachhinein dankbar bin.
Der erste Blick auf die Kathedrale, als ich links um die Ecke biege, ist überwältigend und natürlich steigen direkt wieder die Tränen hoch. Ich bin tatsächlich da, habe es geschafft!!! So richtig begreifen kann ich das nicht in vollem Maße. Als ich vor der Kathedrale stehe, vor dem großen Tor, umarmt Alicia mich noch, wir reden noch kurz und dann macht sie sich auf ihrem Tag nach Finisterre.
Jetzt bin ich da, lasse den Blick über den Praza do Obradoiro schweifen. Jetzt bin ich tatsächlich da, als Pilgerin, nach über 800 km, quer durch Nordspanien.
Lothar und Anna-Lena rufen an. Sie konnte mir die ganze Zeit live per Webcam zusehen, als ich angekommen bin. Ich heule natürlich schon wieder, Tränen der Freude und Erleichterung, aber ich fühle auch Stolz. Ich telefoniere noch mit Mama und Papa – sie sind glaub ich auch mächtig stolz und glücklich – und mache noch ein paar Fotos.
Dann gehe ich zum Pilgerbüro. Schließlich bin ich extrem früh
hier. Derzeit kommen täglich um die 2500 Pilger an und die Schlange vor dem
Pilger-Office soll mega sein. Ich möchte schnell meine Compostela haben.
Gestern habe ich noch überlegt, was draufstehen soll. „Schniertshauer“ auf gar keinen
Fall, also mache ich mich schonmal zur De Geest. Dann wirklich alle vier
Vornamen? Dafür reicht wahrscheinlich der Platz nicht aus. Also entscheide ich
mich bewusst dazu, mein geliebtes Ömchen mit drauf stehen haben zu wollen und
schreibe mein Credential (Pilgerausweis) auf Jeannine Maria De Geest um.
Die Schlange ist um ca. 8:30 Uhr schon recht lang. Ich schreibe mit Lothar und
auch mit Anne. Sie hat gestern ihre Compostela nicht geholt, es war zu viel los
im Nachmittag, da hätte sie sonst nichts mehr von Santiago gehabt. Ich registriere
mich schonmal online und dann kommt Anne zu mir. Wir vertreiben uns gemeinsam
die Wartezeit und halten schließlich gegen 10:00 stolz unsere Compostelas in
den Händen.
Dann suche ich mal meine Unterkunft, das erste Einzelzimmer nach sechs Wochen. Es ist noch nicht bezugsfertig, aber ich kann die Stöcke und den Rucksack da stehen lassen. Das Zimmer ist herrlich – ein eigenes Doppelbett für mich alleine.
Dann treffe ich wieder mit Anne und sie lädt mich zum Frühstücken ein. Ein Geschenk
gibt es auch noch. Wir sind die letzten Tage gemeinsam gelaufen und mit ihr
verstehe ich mich einfach richtig gut. Irgendwie erinnert sie mich auch an
meine beste Freundin Jassi. Wir besuchen dann natürlich die Pilgermesse. Da wir
recht weit hinten stehen müssen, ist es für mich nicht so spektakulär, wie in
2018 mit Lothar. Die Touristen latschen herum, es ist einfach sehr unruhig und
die ach so gläubigen Muster-Tuchpilger (mit so gelben Tüchern umgebunden)
nerven sehr mit ihrer Art, untereinander extrem auf den anderen zu achten, aber
Fremden gegenüber sind sie sehr rücksichtslos. Wir wollen fast schon die Messe
abbrechen und gehen. Aber dann entschließen wir uns doch zu einem Platzwechsel
und stellen uns nah an den Botafomeiro, der dann auch geschwungen wird. Das ist
einfach ein Highlight. Damals in 2018 hat eine Nonne die Messe musikalisch begleitet,
heute singt ein Mann. Auch sehr schön, aber mir fehlt einfach die Ruhe und die
Stimmung.
Im Anschluss sind es locker schon 13:00 Uhr, also wird es höchste Zeit, was zu trinken. Wir suchen nach einem netten Plätzchen und trinken zum vorerst letzten Mal miteinander. Da es schon sehr warm ist, trinken wir Vino Viana – Sommerwein, d.h. kalter Wein mit ein paar Früchten, also Sangria, aber in gut. Dann müssen wir uns leider voneinander verabschieden. Ich bringe Anne noch zum Praza do Obradoiro und wir nehmen uns ganz fest vor, uns irgendwann in Aachen oder Dresden wiederzutreffen.
Mit gedrückter Stimmung gehe ich erstmal in mein Zimmer,
lege mich etwas hin und packe die mitgebrachten Geschenke aus. Super überlegt
Jassi und Mel, ich habe das Gewicht gar nicht gespürt. Melden kann ich mich bei
keinem, ich habe ja eine andere Nummer und keine Kontakte aus meinem „normalen“
Handy. Schließlich beschließe ich, Souveniers für meine Lieben zu Hause einkaufen
zu gehen. Ich habe Uwe versprochen, bei seinem Freund einkaufen zu gehen, also
schlendere ich durch das volle und warme Santiago zu ihm. Mit seinen
hervorragenden zwei deutschen Wörtern „guck mal“ bin ich auch wieder gut
gelaunt. Dann gehe ich etwas essen, natürlich in Lothars und meiner Tapasbar
von 2018 „Taberna do Bispo“, setze mich wie immer an den Tresen und esse gemütlich.
Dann schlendere ich den ganzen Tag durch Santiago, sehe einige Pilger, spreche
mit dem einen oder anderen, aber „meine Leute“ sind einfach alle schon wieder
weg oder in Finisterre. Es ist Xacobeo, das heilige Jahr und daher findet das
eine oder andere Konzert statt. Die Musik lässt aber nicht meine Füße jucken,
also beschließe ich, mir erstmal einen Wein zu kaufen und durch Santiago zu
spazieren.
Ich habe noch ein Pärchen getroffen mit denen ich Richtung Cruz de Ferro gelaufen bin. Wir gehen etwas essen und ich bewundere das neue Kleid von ??? (ich habe ihren Namen vergessen). Sie zeigt mir, wo sie es gekauft hat, aber der Laden ist schon zu. Ich gehe hin und sehe noch die Besitzerin drinnen stehen und klopfe. Ich erkläre ihr, dass ich das Kleid so schön finde und heute Geburtstag habe, aber am Montag – dem nächsten Öffnungstag – schon nicht mehr in Santiago sein werde. Kurzerhand darf ich mich umsehen und kauf mir das Kleid in hell. Ein Geburtstagskleid, sehr fein. Nach den Wochen immer das Gleiche ist es extrem schön, etwas anderes am Leib zu tragen.
Ich laufe einfach los, lasse mich durch die kleinen verwinkelten
Gassen von Santiago treiben, trinke meinen Wein, mache Fotos, schreibe mit
meinem Schatz und lande irgendwann wieder auf dem Praza do Obradoiro. Dort höre
ich die „Tuna“ spielen. Es ist eine sehr bekannte Kapelle, die traditionelle
spanische Musik spielen. Ich gehe hin, mache Fotos und möchte Lothar gerade ein
Video schicken, dass ich meine Geburtstagsparty gefunden habe … auf einmal sagt
hinter mir einer „Hola Chica“. Ich drehe mich um und möchte Platz machen und
kann es nicht glauben, dass da mein Lothar steht und mich angrinst. Meine erste
Reaktion ist „ach Quatsch“. Die Überraschung ist wirklich eine Überraschung und
sooo gelungen.
Wir bringen erstmal Lothars Rucksack weg und gehen in unsere
Tapas Bar etwas essen.
Es geht mir so verdammt gut!
Ich hatte es wirklich nicht für möglich gehalten, dass Lothar mir diesen Wunsch erfüllen kann und nochmal mit mir hier in Santiago sein kann.
An dieser Stelle auch ein richtig liebes Dankeschön an meine zwei wunderbaren Kinder. Ihr seid echt toll, tapfer und stark. Das habe ich ganz oft auf dem Weg gedacht und ich liebe euch beide wirklich sehr.
Nachdem wir eine gute Grundlage haben, gehen wir noch Cocktails
trinken. Diese Bar haben wir uns gemerkt, denn die Stimmung, Atmosphäre und
natürlich auch die Cocktails sind mega gut.
Inzwischen haben wir aus meinem Geburtstag herausgefeiert
und gehen nochmal zum Praza do Obradoiro. Auf einmal kniet Lothar vor mir und
macht mir einen Heiratsantrag. Ich sage JA und trage seit dem einen
wunderschönen symbolischen Ring an meinem Finger.
Am 29.05.2022 verleben wir den Tag noch in Santiago. So
langsam kommt die Müdigkeit hoch.
Am 30.05.2022 nehmen wir den Bus nach Cee und gehen dann von
dort die letzte Etappe gemeinsam nach Finisterre.
Live per Webcam dabei ... Noch 1,5 km
Freitag, 27. Mai 2022
Tag 38: O Pedrouzo - Monte do Gozo
Tag 38: O Pedrouzo - Monte do Gozo, ca. 15 km
Heute bin ich um 7:00 Uhr mit Anne gestartet. Wir waren nicht allein, die Straßen waren schon gut besucht. Es gibt heute auch nicht viel zu schreiben.
Da steht auf den Tafeln, nur noch 15 km und es wird immer weniger. Wir gehen ganz langsam, kehren hier und da nochmal ein und sind gedrückter Stimmung.
Bei dem Gedanken daran, dass dieser Weg sehr bald zu Ende ist, habe ich immer wieder Tränen in den Augen.
Da gibt es heute nicht viel zu schreiben. Ich bin eher traurig als dass ich mich freue.




































